In den letzten Monaten hat sich der Nordkorea-Konflikt dramatisch zugespitzt. Das Land wandelte sich vom Bauernstaat zur Nuklearmacht und bedroht nun die Sicherheit in der Region. Kim Jong-un trieb die Entwicklung von Nordkoreas Raketentechnologie immer weiter voran, sodass inzwischen auch die USA getroffen werden könnten. Denn der Raketenexperte David Wright schätzt, dass die Rakete abhängig von der Beladung eine Reichweite von 10.400 und 11.000 Kilometer haben könnte. Damit wäre ein Raketenangriff auf Washington tatsächlich denkbar. Da mit China, Russland, Südkorea und Japan noch weitere Mächte beteiligt sind, wird es Zeit, die Situation zu analysieren.
Was will Nordkorea?
Hat Kim schlicht Angst, von den USA überfallen zu werden und will für ausreichend Abschreckung sorgen? Kleine Hunde bellen ja bekanntlich am meisten. Oder will er Südkorea überfallen, wie es bereits sein Großvater getan hat? Einen Angriffskrieg kann er eigentlich nicht im Sinn haben. Zwar könnte er einen Krieg beginnen. Doch angesichts der Tatsache, dass selbst Soldaten unterversorgt sind und Nordkorea waffentechnisch unterlegen ist, würde die internationale Staatengemeinschaft ihn sehr schnell wieder beenden.
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Also muss Kim nukleare Interkontinentalraketen aus Verteidigungsgründen wollen. Er will einfach nicht enden wie Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi. Das hat er jedenfalls nach seinem vierten Atombombentest gesagt. Angesichts der andauernden Menschenrechtsverletzungen, die das nordkoreanische Regime begeht, könnte sich der Westen veranlasst sehen, militärisch einzugreifen. Denn mit Diplomatie kommt man bei Nordkorea nicht besonders weit – das hat die Geschichte oft genug gezeigt.
Wenn Kim also nicht angreifen kann, weil das unweigerlich den eigenen Sturz zur Folge hätte, kann es nur die Verteidigung sein. Je bedrohlicher das Land wirkt, desto eher überlegen sich die USA oder andere Länder, ob sie eingreifen werden. Da Machterhalt stets das größte Anliegen der Kims war, liegt diese Überlegung sehr nahe. Zudem gibt ihm das die Möglichkeit, das Land vielleicht doch zu reformieren. Immerhin lassen sich Koreaner in spezialisierten Workshops in vielerlei Themen weiterbilden. Möglicherweise befindet sich das kommunistische Land bereits in der Vorbereitungsphase für eine Öffnung und Modernisierung der Wirtschaft.
Was wollen die USA?
Die Vereinigten Staaten stehen seit dem Korea-Krieg in den fünfziger Jahren an der Seite Südkoreas, da ihnen dieses Gebiet nach dem Sieg über Japan im zweiten Weltkrieg zugesprochen wurde. Der nördliche Teil der koreanischen Halbinsel fiel dagegen den Russen in die Hände.
Beistand für den Bündnispartner Südkorea
Insofern ist das Ziel natürlich der Schutz des Bündnispartners. Ob die scharfe Rhetorik Trumps dafür der richtige Weg ist, kann infrage gestellt werden. China wirft den USA jedenfalls vor, den Konflikt zusätzlich anzuheizen statt deeskalierend zu wirken. Doch weil Nordkorea den Vereinigten Staaten ständig mit Auslöschung droht, muss andererseits auch reagiert werden. Die ausgeweitete militärische Präsenz in der Pazifik-Region und das Abhalten mehrere Militärmanöver gemeinsam mit anderen Staaten sind zwei Möglichkeiten, um dies zu tun.
Doch sie verschärfen den Konflikt natürlich weiter. Auch für die USA kann eine militärische Lösung eigentlich kein Ziel sein, denn das Verhalten Chinas und Russlands wäre in solch einem Fall unklar. Aber die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass es häufig zu politischen Konflikten mit anderen Nationen kam, die irgendwann eskalierten und dann in einen Krieg mündeten. Aber dem gingen üblicherweise auch nationale Interessen der Vereinigten Staaten voraus, wie beispielsweise im Irak-Krieg. Demnach muss man sich fragen, was die USA von einem Krieg gegen Nordkorea hätten.
Wollen die USA die nordkoreanischen Bodenschätze?
Seit 2012 ist bekannt, dass Nordkorea über enorme Bodenschätze verfügt. Ein südkoreanisches Forschungsinstitut hat errechnet, dass Gold, Silber und Seltene Erden im Wert von etwa zehn Billionen US-Dollar unter der Oberfläche schlummern könnten. Würde ein Sturz des nordkoreanischen Regimes zu einer Wiedervereinigung führen, stünde das Gebiet unter dem Einfluss des Westens. Möglicherweise erhoffen sich die USA eine Teilhabe am Profit mit den Rohstoffen.
Wiedervereinigung Koreas und die Nähe zu China
Ob die militärische Präsenz der USA im Falle einer Wiedervereinigung abgebaut würde, ist fraglich. Insofern stünden US-Truppen quasi vor der chinesischen Haustür. So könnte man mit militärischen Nachdruck besser auf die Führung Chinas einwirken. Doch warum sollten die USA einen Konflikt in dieser Größenordnung provozieren? Unserer Meinung nach ist dieses Szenario unrealistisch. Von einem Kräftemessen zweier Supermächte hätten auch die USA nichts.
USA würden Sturz von Kim Jong-un begrüßen
Die einfachste Lösung für den Nordkorea-Konflikt wäre der Sturz des Kim-Regimes von innen heraus. Ein ehemaliger Beamter des US-Außenministeriums schlug vor, die Abschottung Nordkoreas durch wirtschaftliche Beziehungen und eine kulturelle Durchdringung des Landes über das Internet aufzulösen. Dann könnte eine breite Unzufriedenheit zum Sturz des Diktators führen. Natürlich könnten wir auch ein zweites Syrien erleben. Denn würde eine eventuelle Revolution niedergeschlagen, so bliebe wieder nur ein militärisches Eingreifen, um den Wandel in Gang zu setzen. Wie gut die Chancen für einen Erfolg stehen, wenn China und Russland der anderen Seite beistehen, lässt sich leicht anhand der Zahl syrischer Gräber abzählen.
Eine andere Möglichkeit, wäre ein wirtschaftliches Ausbluten Nordkoreas. Diese Strategie scheinen die USA aktuell zu favorisieren. Denn Trump bedankte sich ausdrücklich bei China und Russland für ihre Zustimmung zur neuen UN-Resolution. Diese wird Nordkorea voraussichtlich eine Milliarde Dollar an Deviseneinnahmen kosten – ein stolzes Drittel der aktuellen Einnahmen. Damit könnte sich die ohnehin angespannte Versorgungslage des Landes weiter zuspitzen. Aktuell ist die Ernährungssicherheit von 70 Prozent der Bevölkerung bedroht. Zwar hat auch die große Hungersnot in den 90er Jahren keinen Regimewechsel bewirkt, aber vielleicht wachen die eingeschüchterten Koreaner doch noch auf und wagen den Aufstand.
Was will China?
China ist inzwischen der einzig verbleibende Verbündete Nordkoreas. Dennoch ist das Land besorgt über die aggressive Haltung seines Nachbarn – und insbesondere über dessen Atomprogramm. Inzwischen hat China sogar härteren Sanktionen durch die Vereinten Nationen zugestimmt und begonnen, diese Umzusetzen. Gemeint ist der Handel mit Nordkorea, der fast ausschließlich mit China stattfindet. Insofern sind die Chinesen auch die einzigen, die wirklich Druck auf Pjöngjang ausüben kann. Das Einfuhrverbot von Kohle, Eisen, Blei, Erze und Fischprodukte aus Nordkorea war da sicher ein richtiger Schritt, der Kim Jong-un gar nicht schmecken dürfte.
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Trotzdem haben die USA vor wenigen Tagen ein gemeinsames Militärmanöver begonnen, das den Kriegsfall auf der Halbinsel simuliert. Peking hatte eigentlich gefordert, dass die USA keine gemeinsamen Manöver mehr abhalten und Nordkorea das Atomprogramm einstellt. Mit den neuen Sanktionen ist China den USA im Hinblick auf dieses Ziel ein Stück entgegen gekommen. Die großangelegte Übung dürfte Peking daher ein Dorn im Auge sein.
China setzt auf Diplomatie
China hat kein Interesse an einem Krieg an der eigenen Grenze. Darin sind sich Experten einig. Es fürchtet Flüchtlingsströme und damit auch das Potenzial für ein gewisses Chaos im eigenen Land. Außerdem wäre ein vereinigtes Korea insofern problematisch, dass US-Truppen dann direkt an der chinesischen Landesgrenze stehen könnten. Dennoch haben China und die USA dasselbe Ziel. Nordkorea soll sein Atomprogramm einfrieren.
Wenn die beiden Großmächte sich hierbei auch über die Bedingungen einig würden, könnte man Nordkorea vielleicht zum Einlenken bewegen. Denn ohne Hilfe von außen ginge die nordkoreanische Bevölkerung zugrunde. Die Kim-Dynastie hat zwar bereits bewiesen, dass sie das zur Machtsicherung hinnimmt. Aber vielleicht bringen die Not im Lande, der internationale Druck sowie der schwindende Rückhalt im Volk Kim Jong-un doch noch zur Raison. Doch wenn die USA und China keine gemeinsame Linie finden, wird sich nur wenig bewegen lassen.
Was will Russland?
Auch Russland hat die Raketen- und Atomtests Nordkoreas verurteilt. Der Kreml hat keinerlei Interesse daran, dass noch mehr Staaten in den Club der Atommächte aufrücken. Aber Putin macht auch klar, dass er eine friedliche Lösung befürwortet und ein Ende der Provokationen der USA durch Militärmanöver mit Südkorea wünscht. Putin ist also an einer friedlichen Lösung interessiert.
Die Ursache hierfür können u.a. politische und wirtschaftliche Beziehungen sein. Beispielsweise investiert Putin in die nordkoreanische Infrastruktur und andere Projekte. Dafür erhofft er sich Zugang zu einem der Seehäfen im Osten und plant den Bau einer Gaspipeline nach Südkorea. Insofern stehen vielleicht einfach wirtschaftliche Interessen und die Vermeidung eines Krieges in der unmittelbaren Nähe im Vordergrund der russischen Interessen.
Aber sicher ist auch, dass ein vereinigtes Korea nicht im russischen Interesse liegt. Denn ebenso wie die Amerikaner sind auch die Russen in ihrem Denken noch recht stark in der Zeit des Kalten Krieges verhaftet. Eine koreanische Halbinsel unter US-Einfluss mitsamt militärischer Präsenz dürfte dem Kreml Unbehagen bereiten.
Fazit: Diplomatie und ein langer Atem
Es hat sich gezeigt, dass die Interessen der beteiligten Länder Südkorea, USA, China und Russland gar nicht so verschieden sind. Alle vier Nationen wollen keine Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel. Doch während Südkorea und die USA einer Vereinigung mit dem Norden wohlwollend gegenüber stehen, wäre dies für China und Russland kein wünschenswertes Szenario.
Klar ist, die Eskalation, die derzeit von beiden Seiten des Konflikts betrieben wird, führt nur ins Chaos. Die beschwichtigenden Versuche China und Russlands sind deshalb sehr positiv hervorzuheben. Beide wünschen sich eine friedliche Lösung. Doch sollte man solange verhandeln bis Nordkorea wirklich über atomare Interkontinentalraketen verfügt? Denn Atomwaffen in den Händen eines politisch unerfahrenen, scheinbar sehr impulsiven und aggressiven Mannes stellen eine erhebliche Gefahr dar. Zwar trifft diese Beschreibung auch auf Donald Trump zu, doch die USA verfügen über ein System von „Checks and Balances“ und sind fest in die internationale Staatengemeinschaft integriert. Bei Nordkorea ist das nicht der Fall.
Die Antwort lautet daher: nein! Aber wäre ein offener Krieg besser? Nordkorea verfügt über mehr als eine Million Soldaten – fast so viele wie Russland oder Indien besitzen. Zudem ist enorm viel Artillerie an der Grenze zu Südkorea massiert. Über die koreanische Halbinsel würde ein Höllenfeuer hereinbrechen, das die Region um Jahrzehnte zurückwerfen dürfte. Trotz allem Gefahrenpotenzial sollte daher mit Gesprächen, internationalem Druck, Sanktionen aber auch einem Entgegenkommen des Westens auf eine gewaltfreie Lösung hingearbeitet werden. Das Säbelrasseln sollte eingestellt werden.
Wie seht Ihr die Rollen im Nordkorea-Konflikt verteilt? Was sind Eurer Meinung nach die Optionen, die die Staatengemeinschaft zur Verfügung hat? Wir hoffen jedenfalls, dass der kleine dicke Mann mit der Atomrakete keinen Unfug macht. Aber auch der weniger dicke und etwas größere Mann mit der Atombombe sollte die Füße lieber still halten und das Boot nicht zum Kentern bringen.