Der Mensch im Affengewand


In Brasilien haben Forscher beobachtet, dass Kapuzineraffen Werkzeuge nicht nur benutzen, sondern sogar anfertigen – ein Novum in der Anthropologie. Das könnte bedeuten, dass die Geschichte der Gattung Mensch komplett umgeschrieben werden muss.

In der Anthropologie wird bereits diskutiert

Es gibt da diese Szene, sie ist eine der bekanntesten in der Filmgeschichte. Eine Sippe von Vormenschen – mehr Affen als Menschen noch – lebt ungeschützt in der Savanne, vielleicht vor zwei oder drei Millionen Jahren. Der Kampf ums Überleben ist elementar, doch eines Tages kommt der Anführer der Gruppe darauf, den Knochen eines toten Tiers als Waffe und somit als Werkzeug zu verwenden. Mit dieser Szene illustrierte Regisseur Stanley Kubrick 1970 in „2001: Odyssee im Weltraum“, dass erst ein Werkzeug bzw. eine Waffe das Tier zum Menschen macht. Die Evolution hat den Homo faber erschaffen, den „Menschen als Handwerker“, der andere Geschöpfe dominiert und in seiner Gewalt hat.

So weit ist es im brasilianischen Nationalpark Serra da Capivara freilich noch nicht. Doch das, was sich dort abspielt, hat das Potenzial, dass die Historie der menschlichen Gattung neu geschrieben werden könnte. Denn ein Forscherteam hat eine Gruppe von niedlichen Kapuzineraffen dabei gesehen, wie sie Werkzeuge herstellt. Faustkeile, um genau zu sein – und damit Arbeitsgeräte, die bislang als die ältesten der Gattung Homo gelten. Sie wurden vor etwa 1,5 Millionen Jahren von Arten wie Homo erectus, Homo habilis, Homo rudolfensis und Homo ergaster in Afrika hergestellt. Vor etwa 600.000 Jahren dann aber auch in Asien von Homo heidelbergensis. Und vor 200.000 Jahren hat dann auch der Neandertaler in Afrika endlich kapiert, dass so ein Faustkeil ganz praktisch sein kann.

Die Serra da Capivara - irgendwo hier wurden die findigen Kapuzineraffen entdeckt
Die Serra da Capivara – irgendwo hier wurden die findigen Kapuzineraffen entdeckt. Bild: Wikipedia

Die Entdeckung wirft mehr Fragen auf, als Antworten existieren

All diese frühen Menschenarten waren vielleicht nicht besonders intelligent, aber mit einem Kapuzineraffen hätten selbst sie es locker aufnehmen können. Dass nun aber die süßen Äffchen nach dem immer gleichen Muster Keile in immer gleicher Form produzieren, und das gewollt und kontrolliert, macht die Wissenschaftler sprachlos. Damit besteht laut Definition kein Unterschied zwischen den vormenschlichen Faustkeilen und jenen, die die Primaten herstellen. Das bewirkt, dass eine fundamentale Hypothese der Anthropologie hinterfragt werden muss. Sie lautet: Dort, wo so geformte Steingeräte existieren, müssen Menschen gelebt haben, oder wenigstens Hominine. Also Gattungen von Homo wie die oben erwähnten. Oder ist ein Kapuzineraffe am Ende ein Mensch im Affengewand?

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Um Irrtümer auszuschließen, wollen die Forscher nun veranlassen, dass Funde wie der aus dem brasilianischen Urwald geprüft werden. In erster Linie dort, wo sich Frühmenschen und Kapuzineraffen den Lebensraum geteilt haben. Doch es gibt weitere offene Fragen. Wo zum Beispiel ist der Unterschied zu Schimpansen? Von denen weiß man schon länger, dass sie Steine als Werkzeuge nutzen, um beispielsweise Nüsse zu knacken. Allerdings verwenden Schimpansen, deren DNS zu 98,63 Prozent mit der des Menschen übereinstimmt, die Werkzeuge so, wie sie sie in der Natur vorfinden. Kapuzineraffen schlagen hingegen mit den Steinen auf andere Steine – solange, bis Formen entstehen, die man getrost als Faustkeile bezeichnen kann.

Die Philosophie als entscheidende Wissenschaft

Skurril ist allerdings, dass die Definition von „Werkzeug“ im Fall der niedlichen Affen nicht eindeutig zu beantworten ist. Denn sie nutzen die Keile nicht so, wie sie von Schimpansen genutzt werden. Sie knacken keine Nüsse und schneiden keine anderen Pflanzen damit an. Der Grund, weswegen die Kapuzineraffen die Steine zu Faustkeilen zertrümmern, ist weniger handwerklicher denn ernährungstechnischer Natur: Sie haben Appetit und wollen an die im Stein eingeschlossenen Flechten und die Mineralien rankommen, die sie dann herauslecken.

Faustkeile, wie sie vor etwa 500.000 Jahren von Vormenschen verwendet worden sind. In der Anthropologie sind sie wichtige Merkmale.
Faustkeile, wie sie vor etwa 500.000 Jahren von Vormenschen verwendet worden sind. In der Anthropologie sind sie wichtige Merkmale. Bild: Wikipedia

Und hier kommt die Philosophie als entscheidende Wissenschaft ins Spiel. Zwar klopfen die Äffchen die Steine bewusst, damit sie splittern und die Leckereien freigeben. Aber ist ein solcher Stein dann ein Werkzeug, wenn die Affen damit nicht schneiden, hämmern oder etwas zerschlagen?

Wann ist ein Hammer ein Hammer?

Das müssen wohl tatsächlich eher Philosophen als Anthropologen beantworten. Dann werden sie aber auch darüber entscheiden müssen, ob ein Holzstiel mit einem darauf angebrachten Klotz aus Eisen nur dann als Hammer gilt, wenn jemand ihn als solchen benutzt. Ziemlich spannende Sache. Ob Kapuzineraffen zukünftig also als „Hominini“ gelten, hängt davon ab, ob die Wissenschaft zu dem Schluss kommt, dass sie mit Absicht Werkzeuge erschaffen. Neben Australopithecus und seinem engen Verwandten Paranthropus gehören ansonsten nur noch die Gattungen Homo zu den Hominini. Gorillas und Schimpansen nicht. Kaum vorstellbar, dass Kubrick die Eröffnungssequenz seines Filmklassikers mit putzigen Kapuzineraffen gedreht hätte.


Wann ist der Mensch ein Mensch? Was sind die Merkmale, die ihn vom Menschenaffen unterscheiden? Schließlich töten auch wir unsere Artgenossen, genauso wie Schimpansen und Gorillas. Was also macht uns glauben, uns über andere Primaten erheben zu dürfen? Und was heißt das für die Anthropologie? Viel Spaß bei der Diskussion!

Holger

Freier Journalist und Texter. Recherchiert und schreibt über alles, was nicht 08/15 ist und Eindruck hinterlässt. Ist gern unterwegs in der Weltgeschichte.

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