Gletscherschmelze lässt die Alpen-Gipfel wachsen


Am Großglockner heben sich die Alpen am stärksten

Auf einigen Gipfeln der Alpen – genau, unserer Alpen! – finden sich versteinerte Korallen. Ein Hinweis darauf, dass das Gestein früher einmal Meeresboden war. Die Adriatische Platte schob sich unter die Europäische und faltete seit nunmehr 55 Millionen Jahren die Alpen auf. Aber warum wachsen die Alpen in einer bestimmten Region einfach weiter, während andere alpine Gegenden absinken? Wissenschaftler haben jetzt die Erklärung gefunden. Sie ist nicht besonders schön.

„Weg mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer!“

Wer diesen Satz noch nie vernommen hat, dem sei er kurz erklärt. Schweizer Punks haben ihn in den Achtzigern kreiert, sozusagen als Aufruf an ihre Landsleute, sich nicht nur mit national bedeutenden Dingen zu befassen, sondern über den Tellerrand zu schauen. Die Aussage ist eigentlich ziemlich lustig und keinesfalls ernst zu nehmen. Denn die Alpen in der Schweiz und in Frankreich machen keine Anstalten, die Sicht auf das Mittelmeer freizugeben, im Gegenteil. Sie wachsen nämlich sogar, und das um zwei Millimeter im Jahr. Das kommt daher, weil sich die Adriatische Platte unter die Europäische Platte schiebt. Die Plattentektonik faltet die Alpen auf.

Der Großglockner, der aus dem Tauernfenster herausragt, ist mit 3.797 Metern der höchste Berg Österreichs. Hier heben sich die Alpen am stärksten
Der Großglockner, der aus dem Tauernfenster herausragt, ist mit 3.797 Metern der höchste Berg Österreichs. Hier heben sich die Alpen am stärksten. Quelle: Wikipedia

Jedenfalls die Westalpen. Östlich einer gedachten Linie von Klagenfurt bis Salzburg schrumpfen die Berge, sie rutschen gewissermaßen seitlich weg. Und dann gibt es da noch das Tauernfenster, eine etwa rechteckige geologische Struktur, die sich vom Brenner in östlicher Richtung bis Schladming erstreckt. In der Diagonale misst das Tauernfenster 176 Kilometer, die Nord-Süd-Länge beträgt etwa 30 Kilometer. Der Großglockner, mit 3.797 Metern Österreichs höchster Berg, ist Teil des Tauernfensters, das einst tief unter dem Meer gelegen hat und erst vor 20 Millionen Jahren durch die Auffaltung der Alpen an die Erdoberfläche gelangt ist. Seitdem ist es noch viel weiter in die Höhe geschossen.

Die Alpen wachsen, weil der Mensch das Klima verändert

Das Tauernfenster ist einer der besten Belege, weil am besten sichtbare Beweis dafür, dass sich die Gesteinsschichten der Alpen früher auf dem Grund eines Ozeans befunden haben. Viele Naturgewalten reißen und zerren und drücken das Gebirge in viele Richtungen. Die Erdplatten etwa, wie schon beschrieben. Die Erosion leistet aber ebenfalls ihren Beitrag. Wind und Regen schleifen die Berge ab, lösen Gestein aus den oberen Schichten, das ins Tal purzelt und von den Gebirgsbächen fortgespült wird. Und je mehr Gestein auf diese Weise abtransportiert wird, desto leichter werden die Alpen. Infolgedessen haben es die Erdplatten noch einfacher, das Gebirge anzuheben. Es ist wie bei einem schwer beladenen Containerschiff, dessen Ladung gelöscht wird. Wenn die Container erst mal weg sind, hebt sich der Kahn viel weiter aus dem Wasser heraus.

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Allerdings kompensieren sich die Kontinentaldrift und die Erosion weitestgehend. Je höher die Berge angehoben werden, desto stärker wird auch der Verwitterungsprozess. Aber warum wachsen die Alpen in vielen Regionen in den letzten Jahren dennoch stark und schnell nach oben? Schuld daran ist der Mensch, genauer gesagt der vom Menschen verursachte Klimawandel. Denn durch die Erderwärmung schmelzen die Gletscher rapide ab. Und weil ihr Gewicht heute so gering ist, schnellen die Alpen vielerorts rasant gen Himmel. Es klingt zwar unglaublich – aber Forscher haben nachgewiesen, dass die Plattentektonik die Alpen tatsächlich stärker wachsen lässt, weil die Eismassen nach und nach verschwinden.

Nur noch 124 Milliarden Tonnen Eis

Ganz schön gruslig. Aber das Team um den Diplom-Geologen Jürgen Mey von der Universität Potsdam hat ausreichend Daten zusammengetragen, die das fehlende Eis für die Alpenhebung belegen. 90 Prozent des Gebirgswachstums sind durch abgeschmolzene Gletscher zu erklären. Als die Eiszeit vor 21.000 Jahren ihren Höhepunkt erreichte, lasteten 62 Billionen Tonnen Eis auf den Alpen. Das ist das 500-fache des heutigen Gewichts, das heute demnach „nur“ noch 124 Milliarden Tonnen beträgt. Leicht genug, um die Berge in vielen Alpenregionen enorm wachsen zu lassen.

Der Rückgang des Grinell-Gletschers im Glacier-Nationalpark in Montana von 1938 bis 2013
Der Rückgang des Grinell-Gletschers im Glacier-Nationalpark in Montana von 1938 bis 2013. Quelle: Wikipedia

Und weil im westlichen Österreich, also im Tauernfenster, die Gletscher während der Eiszeit am dicksten und am schwersten waren, schnellen die Gesteinsschichten heute rascher nach oben als anderswo in jenem Gebirge. Der Aufstieg, der vor vielen Millionen Jahren begonnen hat, nimmt vorerst kein Ende. Denn die wenigen Gletscher, die es noch gibt, werden in den nächsten Jahrzehnten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch verschwinden.


Klingt nahezu unglaublich, oder? Was glaubst Du, zu was der Klimawandel bzw. der Gletschwerschwund noch führt? Und welche Auswirkungen hat das alles eigentlich für uns? Viel Vergnügen beim Diskutieren!

Quelle Titelbild: Wikipedia

Holger

Freier Journalist und Texter. Recherchiert und schreibt über alles, was nicht 08/15 ist und Eindruck hinterlässt. Ist gern unterwegs in der Weltgeschichte.

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